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…wie die Straßen der DDR sicherer werden sollten…

05.02.2020 15:28

Null-Promille, Stempelschein und Papp-Polizisten: neue Studie erklärt, wie die Straßen der DDR sicherer werden sollten

Dr. Stefanie Eisenhuth Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)

Nach dem Mauerfall 1989 stieg die Zahl der Verkehrstoten in Ostdeutschland kurzzeitig rapide. Mit über 3.700 Unfallopfern 1991 hatte sich die Zahl binnen zwei Jahren mehr als verdoppelt. Neben den neuen schnellen „Westautos“ und einem deutlich erhöhten Verkehrsaufkommen war es auch das Wegbrechen der Autorität der alten Ordnungshüter, die das Ansteigen der Unfallkurve begünstigte. Die Historikerin Franziska Kuschel hat am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam über das Verkehrsregime in der DDR geforscht. Ihre Studie „Sicherheit als Versprechen. Verkehrsregulierung und Unfallprävention in der DDR“ ist heute im Wallstein Verlag erschienen.

Anfang der 1990er-Jahre testeten viele ostdeutsche Autofahrer die frisch errungene „freie Fahrt für freie Bürger“, denn zu DDR-Zeiten herrschten striktere Regeln. „Das SED-Regime versuchte stets, umfassend Sicherheit herzustellen. Auch in alltäglichen und vermeintlich unpolitischen Bereichen,“ erklärt die Historikerin Franziska Kuschel. Dazu habe man sich zum Teil recht rigider Maßnahmen bedient, etwa der Null-Promille-Grenze oder streng überwachten Tempo-Limits. Kuschel betont jedoch, dass zugleich neue Konzepte zur Prävention entwickelt wurden: „In den 1950er-Jahren versuchte man mit Papp-Polizisten am Straßenrand Autofahrer vom Rasen abzuhalten. Außerdem wurde zu jener Zeit – und damit lange vor den Flensburger Punkten – ein System zur Erfassung von Verkehrssündern eingeführt: die Stempel.“ Der Führerschein wurde dafür um eine Karte, im Volksmund Stempelschein genannt, ergänzt. Für ein Vergehen gab es bis zu vier Stempel. Über die genaue Anzahl entschied die Volkspolizei individuell, denn einen Bußgeldkatalog gab es nicht.

Für die Verkehrssicherheit zuständig war das Innenministerium der DDR. Anhand der internen Entscheidungen dieses Ressorts verdeutlicht Kuschel in ihrem neuen Buch, wie das Regime auch im Verkehrswesen eine Steuerungsutopie entwickelte und zu einem vorbeugend handelnden Staat wurde. Sie zeigt, wie ein breites Spektrum an Präventivmaßnahmen entwickelt wurde – von der Verkehrserziehung in Schulen und Betrieben über die Stempel bis hin zu Filmen und Fernsehsendungen wie etwa dem „Verkehrsmagazin“. Dabei betont sie, dass das Thema Verkehrssicherheit zu keiner Zeit gänzlich unpolitisch war und sich der Kalte Krieg auch auf diesem Feld bemerkbar machte. „Das zeigt sich etwa an dem Feindbild ‚Westkraftfahrer‘, der angeblich die ostdeutschen Straßen unsicher mache, und den das DDR-Innenministerium nicht müde wurde zu erwähnen,“ erzählt Kuschel. Sie ergänzt: „Die Verkehrssicherheit war damals ein Themenfeld unter vielen, das die DDR im Systemwettstreit zu nutzen versuchte, um sich als das bessere, weil sichere Deutschland zu präsentieren.“ Mit solchen Verweisen gelingt es der Autorin, sowohl eine neue Perspektive auf die DDR-Sicherheitsgeschichte zu präsentieren, als auch unerwartete Befunde zur Regulierung des Verkehrswesens in der DDR.

Das Buch ist ein Ergebnis des Forschungsprojektes zur Geschichte der Innenministerien der Bundesrepublik und der DDR. Es wurde im Dezember 2014 von Bundesinnenminister a.D. Dr. Thomas de Maizière ins Leben gerufen und von Historikerinnen und Historikern am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) sowie am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin (IfZ) gemeinsam durchgeführt.Straßen der
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Franziska Kuschel,
Sicherheit als Versprechen. Verkehrsregulierung und Unfallprävention in der DDR
Erschienen als Band 4 in der Reihe „Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945“ (hg. von Frank Bösch und Andreas Wirsching).
ISBN: 978-3-8353-3479-3
Jahr: 2020
Verlag: Wallstein Verlag


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